Zeit der Meistermacher läuft langsam aus
Furioses Finale um den Aufstieg zur Landesliga Nord: Am Ende gewinnt die HSG Kitzingen-Ochsenfurt das Endspiel bei der TG Würzburg 25:23 (11:10).

EIKE LENZ

War es eine dunkle Ahnung oder purer Zufall? In der Halbzeitpause packte Rainer Graf die Kiste Champagner unter den Arm und trug sie außer Reichweite seiner Spieler; als wollte er die prickelnde Fracht erst einmal auf Eis legen. Die Symbolik der zu dieser Zeit eher belanglosen Szene erschloss sich gut eine halbe Stunde später: Statt Sekt gab es am Samstag nur Selters für den Manager und die Akteure der TG Würzburg. Sie hatten das entscheidende Treffen um die Meisterschaft in der Bezirksoberliga gegen die HSG Kitzingen/Ochsenfurt mit zwei Toren verloren.

Eine ganze Saison kulminierte in diesem letzten Spieltag, und als der Vorhang gefallen war, sah man am Rande der Bühne gefeierte und tragische Helden. Manche hatten Tränen in den Augen - es waren Tränen der Rührung, des Glücks, aber auch Tränen der Trauer, der Gram. Fortuna hatte ihr Urteil gesprochen und der Sieger war die HSG. "Wir haben ein bisschen mehr Glück gehabt", sagte Trainer Stefan Gnandt. Was ein bisschen zu viel der Selbstbescheidung war. Wenn schon, hat die Mannschaft ihr Glück gezwungen. Vielleicht war es wirklich das Quäntchen mehr an Erfahrung und Praxis. Wer zum ersten Mal im Circus Maximus vor großem Publikum auftritt, dem schlottern in manchen Situationen halt noch die Knie. "So viel Druck" habe auf seinem jungen Team gelegen, klagte TGW-Trainer Horia Markel - vor allem einer war diesem Druck nicht gewachsen: Fa- bian Listringhaus. Fünf Fehlwürfe, dazu eine Reihe technischer Fehler unterliefen dem groß gewachsenen Rückraumspieler im ersten Akt. Im zweiten war er nur noch zeitweilig eingesetzt.

Markel indes erging sich nicht in Einzelkritik. "Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen", gab er nachher als Parole aus. Listringhaus ist ja nicht der einzige gewesen am Samstagabend, der seine Nervosität nicht verbergen konnte: Die Betreuer am Kampfgericht vergaßen nach kurzer Unterbrechung die Spieluhr wieder einzuschalten, und einer der (sonst vortrefflichen) Schiedsrichter konfrontierte Kitzingens Alexander Hack in der Hektik des Augenblicks mit der Roten statt mit der Gelben Karte. Ein lässliches Vergehen im Vergleich zu den zahlreichen leichtfertig vertanen Chancen auf beiden Seiten. Vom Standpunkt des Chronisten aus gesehen, war die Partie wenig überzeugend. Der misst ein Spiel nicht an seinem ideellen Wert, dem Spaßfaktor, sondern allein an nackten Zahlen und Fakten, und da kamen beide Kandidaten schlecht weg: Die Effektivität im Angriff lag bei unter 50 Prozent. Das Publikum aber genoss die Dramaturgie der Ereignisse - eine am Ende ständig wechselnde Führung, die Gegenstöße der fixen Würzburger und die Paraden von HSG-Torwart Gaubitz.

Der oszillierende Pegel der Partie war von der ersten Minute auch an TGW-Trainer Markel nachvollziehbar. Anfangs, als die Abwehr noch ganz passabel hielt und der Gegner Orientierungsprobleme hatte, stand er wie ein Fels in der Brandung. In der zweiten Hälfte legte Markel den chicen blauen Pullover ab - und als
der Moment der Entscheidung immer näher rückte, klaffte selbst das Hemd aus der Hose. Natürlich hatte Markel Gründe, aus sich heraus zu gehen. "Wir hatten das Spiel in der Hand", sagte er. Tatsächlich glichen die Seinen nach der Halbzeit nicht nur einen Drei-Tore-Rückstand aus (14:17, 42. Minute), sondern gingen kurz darauf sogar erstmals im Spiel in Führung (19:18, 48. Minute) und
hätte Kai Arnold im Gegenstoß den Ball nicht an die Latte gesetzt, wer weiß, wie die Sache gelaufen wäre. "Ich verstehe das nicht, wie man so werfen kann. Du bist mit dem Torwart allein . . .", räsonierte Markel. "da kannst du nichts mehr machen als Trainer."

Hilflos musste er zusehen, wie es in die Katastrophe ging. Kein Lotse an Bord, der das Schiff in ruhigere See geführt hätte. Die HSG verfügte indes über ein paar knorrige sturm- erprobte Bootsmänner mit Routine: Thilo Sammetinger, Uwe Schmidt, Dirk Böhm - drei aus der früheren Oberliga-Crew der TGK. Sammetinger war in der zweiten Hälfte zwar durch Markus Lermig kurz gedeckt und zumindest im Angriff aus dem Spiel, aber für die Stabilität der Abwehr trug der Hüne immerhin Verantwortung. Dahinter zeigte Bernd Gaubitz so manche Heldentat. Drei Gegenstöße wehrte der Torwächter nach der Pause bravourös ab. Kurz vor Schluss half Gaubitz das Glück des Tüchtigen. Bei einem Wurf von Kai Arnold krachte der Ball an den Querbalken - im Gegenzug gelang Tobias Schülling mit dem 25:23 die Entscheidung.

Die TGW bot Ansätze modernen Handballs, zeigte das flinkere Spiel und führte ihre Klasse schwungvoll vor - die HSG drosselte immer wieder das Tempo, suchte über einstudierte Spielzüge zum Torerfolg zu kommen. Aber der Unterschied der Systeme hängt mit der Struktur beider Mannschaften zusammen. Die Würzburger stehen mit ihrem kultivierten Jugendstil in der Evolution zu einem Spitzenteam, die Zeit der HSG läuft langsam aus. Noch weiß auch Trainer Gnandt nicht, in welcher Formation er die nächste Runde angehen wird. Auch der Kollege Markel rätselt über die Perspektive des Gegners, fragt sich, "welche Zukunft diese Mannschaft hat". Man könnte sich nun umgekehrt fragen, weshalb Markel sich den Kopf über die Sorgen anderer zerbricht. Aber im Grunde ist ihm Recht zu geben, wenn er sagt: "Im Kreis Würzburg gibt es viele Mannschaften, aber es ist keine ist in der Lage, in der Lan- desliga vorne mitzuspielen - weder Waldbüttelbrunn, noch Unterdürrbach, noch Heidingsfeld." Ist da ei- ner auf Brautschau für seine Mannen?

Die HSG hat diesen Schritt schon hinter sich. Geradlinig werkeln die Architekten seit dieser Spielzeit mit unaufgeregtem, kalkuliertem Risiko an einem Projekt, das erste Erfolge birgt. Nach der Allianz von Kitzinger und Ochsenfurter Handballern war der Aufstieg eigentlich erst für 2001 geplant. Dass er bereits dieses Jahr gelungen ist, mag so manchen überrascht haben. Der Sekt für die kurzfristige Meisterfeier musste am Samstag erst aus dem Versteck geholt werden.

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TG Würzburg: Armin Bausewein, Martin Bissinger; René Hartensuer, Hannes Moritz, Stefan Lochner (4/2), Christian Werner (2), Markus Lermig (2), Bernd Grammel (4), Matthias Hauptmann (1), Fabian Listringhaus (5), Alexander Engel (1), Kai Arnold (4).
HSG Kitzingen/Ochsenfurt: Bernd Gaubitz, Thilo Graf; Dirk Böhm (1), Alexander Hack (6), Tobias Schülling (7/4), Michael Müller (2), Matthias Eisenmann, Manfred Thomann (4), Uwe Schmidt (4), Andreas Lackinger, Thilo Sammetinger (1).
Schiedsrichter: Christoph Feulner (HSC Bad Neustadt)/Harald Rost (Schweinfurt 05).
Zeitstrafen: Arnold, Hauptmann; Müller, Sammetinger.
Zuschauer: 400 (geschätzt).
Spielfilm: 0:2 (4.), 2:2 (7.), 3:6 (13.), 5:8 (19.), 8:9 (24.), 10:11 (29.) - 10:12 (31.), 12:12 (33.), 14:14 (39.), 14:17 (42.) 17:17 (45.), 19:18 (48.), 20:20 (50.), 20:23 (55.), 23:23 (58.), 23:25.

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